Disclaimer: Dieser Artikel erscheint unter der Kategorie «Meinung», auch wenn es um den Eurovision Song Contest 2019 in Tel Aviv geht. Er ist weder für eine noch für eine andere Seite und schon gar nicht antisemitisch gemeint.
In der Headline steckt wohl der Running-Gag, als ich meinem Umfeld kurz vor der Abreise erwähnte, dass ich an den ESC nach Tel Aviv gehe. «Du getraust dich, in den Krieg zu fahren?». Ich so: «Ja, Bombenstimmung in Tel Aviv». Dabei wusste ich von meinem 6-wöchigen Aufenthalt 2014 mitten in der Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina, was es bedeutet, bei Raketenalarm einen Schutzraum aufzusuchen. Ich habe aber auch gelernt, auf die von USA und Israel entwickelte Wunderwaffe Iron Dome zu vertrauen, die damals alle Raketen zuverlässig abfing. Wie eine Bubble wirkt dieser Schutz. Vielleicht auch deshalb heisst es, Tel Aviv sei innerhalb von Israel eine Bubble und ticke völlig anders. Hier lebt man spontan, plant kaum voraus (macht sich am ESC gut bemerkbar). Mit der positiven Seite: Jeden Tag ist ein Grund zum Feiern!
Was ich damals auch lernte: Diskutiere mit keinem Israeli über den Konflikt im Gazastreifen. Dieser ist so komplex (und unlösbar), dass man im schlimmsten Fall eine Freundschaft aufs Spiel setzt. Dass Israeli generell Platz einnehmen (hatten wir nicht alle Begegnungen mit lauten und unhöflichen Israeli?), ist ein Fakt. Ich erinnere mich an meinen ersten ESC 2015 als Teil der Eurovision-Presse. Da schlug uns ein Israeli vor, für die folgenden Tage den ganzen Tisch zu besetzen. Ich musste laut lachen und antwortete ihm: «Yes, let’s make this our little Gaza». Ich weiss nicht, ob er meinen Gag verstand. Wie auch immer: Wir Schweizer und Israeli scheinen uns meist gut zu verstehen. Vielleicht ist das unsere gemeinsame Lust auf Geld? Kleiner Scherz …
Nun frage ich mich also, ob ich wirklich zu diesem Konflikt schweigen kann? Denn: Während der 1. Probewoche anfangs Mai wurden 600 Raketen in Richtung Israel abgefeuert. Der Eurovision Song Contest wurde von Palästina offiziell als «Ziel» deklariert. Man wolle verhindern, dass hier ein ESC über die Bühne gehen kann. Einmal mehr wird der ESC ungewollt (die European Broadcast Union EBU betont jedes Jahr in ihrem Reglement, dass es sich um einen nicht-politischen Anlass handelt) zur politischen Bühne. Und was macht die EBU nun mit der Drohung? Schweigen!
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Nicht nur dieses Sprichwort lehrt uns, dass die EBU das goldrichtig macht. Hat sie bereits 2017, als die Ukraine und Russland sich um die Krim bekriegten. Wieso jemandem eine Bühne geben, für politisches Kräftemessen? Nein, die Bühne gehört den Sängerinnen und Sänger, den Delegationen aus 41 Ländern, die sich seit Monaten darauf vorbereiten. Den Song Contest aus politischen Gründen abzusagen wären 41 deftige Klatschen. Kommt hinzu: Der ESC ist eine einzige Bubble. Es geht hier um Glamour, um Musik und um ein Zusammentreffen, das so friedlich ist wie ein schlafendes Baby mit einem unschuldigen Lächeln im Gesicht. Notabene: Hier freuen sich Fans auf den teilnehmenden Ländern für die andern. Alle stehen einander bei, stehen in der Arena nebeneinander und stehen am Schluss vereint für das Siegerland hin. In keinem Fussballstadion wäre so etwas möglich.
Und nun fragt man uns vor Ort Anwesenden immer wieder: Seid ihr in Sicherheit? Wie geht es euch? Merkt man was von Raketen? Dann habe ich ein Baby-Lächeln im Gesicht. Denn die ESC-Bubble ist momentan mit der Tel-Aviv-Bubble vereint. Und es ist im ernst gemeinten Sinne: Bombenstimmung!
Dazu auch unser Blogger-Kollege Benjamin Hertlein von ESC kompakt im Bericht der ARD «Zwischen Krisen- und Feierstimmung».