Am Schluss ihrer beiden Auftritte in Kopenhagen wurden die Tolmachevy Sisters aus Russland ausgebuht. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte des Eurovision Song Contests, dass Künstler ausgepfiffen wurden. douzepoints.ch schaut auf 3 besondere Momente.
Wenn Fussball und Eurovision sich vermischen
Es war 1984 in Luxembourg, als ein Publikum zum ersten Mal seinen Unmut zum Ausdruck brachte. Als Zielscheibe dienten die britischen Künstler Belle & The Devotions. Zwei Gründe kommen dafür in Frage. Erstens: In Luxembourg fand am 16. November 1983 ein Fussballspiel gegen England statt. Am Nachmittag des Spieltags machten englische Hooligans die Stadt unsicher und warfen Abfallkörbe in Schaufenster und forderten die völlig überforderte Polizei heraus. Die Schäden beliefen sich auf mehrere Millionen und die Öffentlichkeit war empört. Der zweite mögliche Grund ist ein ganz anderer und hat mit der Gruppe selbst zu tun: Das Trio Belle & The Devotions bestand aus Kit Rolfe, Laura James und Linda Sofield. Während den Proben stellte man fest, dass die Stimmen von 3 anderen Frauen hinter der Bühne kamen. Die Mikrofone von James und Sofield waren nicht mal an. Die BBC geriet in Erklärungsnotstand. Und die Erklärung ist tatsächlich nicht sehr nach vollziehbar: eine der Sängerinnen sei schwanger gewesen. Das Lied schaffte es trotzdem auf den 7 Platz. Verdient? An euch zu entscheiden!
Silvia Night, die verhöhnte Diva
2005 machte die isländische Vertreterin von sich reden. Silvia Night (oder Silvia Nóttest) wurde von Eva Ágústa Erlendsdóttir als Kunstfigur erschaffen. Sie gab sich extravagant, narzistisch, unhöflich, vulgär – ja als richtige Göre. Sie war bereits in Island verhasst, dennoch vertrat sie ihr Land beim 51. Song Contest in Griechenland. So war sie denn auch gegenüber Technikern und Journalisten war sie ausfällig. Die Rolle spielte sie während der ganzen Eurovisions-Woche perfekt. Während einer Pressekonferenz vertrieb sie eine Journalistin, die ihr in die Augen schaute. Auch das gehörte zum Spiel, die Journalistin war eine Schauspielerin. Während den Proben rief sie unter anderem «Fuck you, fucking retards», was in der Presse falsch mit «Fucking Greeks» zitiert wurde. Ihre Popularität im griechischen Volk sank logischerweise rapide. Die Diva sparte auch nicht mit wenig schmeichelhaften Bemerkungen gegenüber ihren Konkurrenten. Im Halbfinale am 18. Mai wurde sie denn auch vom Publikum ausgepfiffen. Aber auch Künstler stimmten in die Buh-Rufe ein, weil sie ihren Auftritt gar nicht goutierten. Sie qualifizierte sie nicht fürs Finale. Selbst die hartgesottenen Jungs von Lordi waren nicht erstaunt: «I really wasn’t surprised that Iceland didn’t make it. Because I think the whole act she was doing… It went a little bit too far.» Wie zu erwarten war, zog Silvia Night auch nach ihrem Ausscheiden ihre Show voll durch. Im Video ist der eisigste aller Empfänge durch das Publikum in der Eurovisions-Geschichte zu sehen.
Russische Sündenböcke
Die Russinnen Anastasia und Maria Tolmachevy, Zwillinge von 17 Jahren, vertraten ihr Land in Kopenhagen. Die beiden gewannen bereits den Junior Eurovision Song Contest im Jahr 2006. Und zum ersten Mal gingen dortige Gewinner an den Start bei den «Erwachsenen». Mit ihrem Titel «Shine» wollten sie glänzen. Doch die Politik Russlands vom Frühjahr 2014 mischte sich ein. Im 2013 erliess der russische Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, dass jegliche Art homosexueller Propaganda verbot – dies sei zum Schutz von Minderjährigen. Das bis heute geltende Gesetz diskriminiert LGBT-Personen und verletzt damit Menschenrechte. Entsprechend erntete das Gesetz breite Kritik von Homosexuellen- und Menschenrechtsorganisationen, aus der europäischen und amerikanischen Politik und nicht zuletzt von Menschen aus dem Showgeschäft. Hinzu kam Russlands Vorgehen mit der Stationierung ihrer Truppen auf der Krim Ende Februar 2014. Die Europäische Union, die Vereinigten Statten und andere Länder beschuldigten Russland, das Völkerrecht und die Souverenität der Ukraine zu verletzen. Und als ob das nicht genug wäre, setzte Russland noch einen drauf: Im April 2014 forderte die russische Führung die Disqualifikation von Conchita Wurst. Die Botschaft für Respekt und Toleranz der österreichischen Drag-Queen war nicht im Einklang mit Russlands Haltung. Deshalb gab es am ESC 2014 so etwas wie zwei Lager: hier Russland, da Conchita. Die Tolmachevy Sisters wurden im Halbfinale hörbar ausgebuht. Gleiches wiederholte sich im Finale. Dies, obwohl vor dem Auftritt in der Halle daran erinnert wurde, dass es beim ESC um Musik und nicht um Politik gehe. Ausserdem waren während des Auftritts Rainbow-Flaggen nicht zu übersehen. Schwule Fans sorgten am Schluss des Auftritts dafür, dass die Flagge sehr prominent im Bild war (siehe Titelfoto). Klar ist: Die Reaktion des Publikums bezog sich nicht auf die Künstlerinnen und ihre Gesangsqualität. Ob das gerecht war? Schwer zu beantworten. Das Publikum reagierte und machte seinem Unmut Luft.
Bild: partyindatardis.tumblr.com
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