Es ist DAS Ereignis des Eurovision Song Contest: der Red Carpet als Teil der Eröffnungszeremonie. Seit 2015 sind wir es gewohnt, viele Teilnehmer:innen zu interviewen. Was für ein Privileg! Dieses Jahr erhielten wir eine Einladung von RAI. Doch sie ist nicht mehr als eine Farce.
Der Anlass auf dem roten Teppich (der in diesem Jahr türkisfarben sein wird) ist für douzepoints.ch ein würdevoller Anlass. Und jedes Jahr bereiten wir uns darauf vor wie auf einen sportlichen Wettkampf. Das setzt voraus, dass wir uns vertieft mit rund 40 Künstler:innen befassen und für sie einzigartige und originelle Fragen erstellen. Wir kleiden uns dafür chic und sind einige Stunden vorher an einem von den Organisatoren festgelegten Ort, der sich auch ausserhalb der Gastgeberstadt befinden kann. Die Veranstaltung findet im Freien statt und es ist ratsam, alle Wetterszenarien in Betracht gezogen zu haben. Nachdem wir die Sicherheitskontrolle passiert haben, machen wir uns auf zum Abschnitt, der uns für die nächsten vier bis fünf Stunden Arbeit zur Verfügung steht. Eine Arbeit, die sich lohnt: Die Begegnungen sind toll. Und die Videos werden auf YouTube fleissig angeschaut. 28’000 Views hat unser Video des Red Carpets von 2016 in Stockholm.
Idealerweise hat man einen Platz am Anfang des Red Carpet. Dort trifft man Künstler:innen, die noch bereit sind, Interviews zu geben. Weil sie «frisch» sind. Ein Platz am Ende des Teppichs bedeutet zwei Dinge. Erstens: Bis ein erster Act zu einem kommt muss man leicht über eine Stunde warten. Zweitens: Am Ende sehen die Künstler:innen bereits die Ziellinie nach einem langen Marathon aus weltlichen Gesprächen, immergleichen Fragen und Fotoposen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Vertreter:innen aller Länder schnurstracks an einem vorbeilaufen. Nach drei bis vier Stunden Wartezeit kann die Enttäuschung sehr gross sein.

Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass RAI und die EBU in diesem Jahr beschlossen haben, die Fan-Medien anders zu behandeln als bei den anderen Ausgaben des Eurovision Song Contest. Nach einer Woche verstehen wir dies noch weniger. Diejenigen, denen Ende April die Vor-Ort-Akkreditierung entzogen wurde, reisten trotzdem für beide Wochen des Eurovision Song Contests nach Turin. Ob über douzepoints.ch oder andere Fan-Blogs, die Interviews waren geplant und fanden im Hotel oder an einem Ort in der Stadt statt. Die traditionellen Pressekonferenzen dagegen waren ziemlich leer. Das ist mehr als trostlos, gerade für die Künstler:innen.

Und wo sind wir nun für den diesjährigen türkisfarbenen Teppich?
Die Organisatoren haben am Freitag beschlossen, die in Turin anwesenden Fan-Medien in ihren «Turquoise Carpet» zu integrieren. Wir haben Luftsprünge gemacht als wir die Einladung erhielten. Doch bei genauerem Lesen machte sich schnell Ernüchterung breit: Die Fan-Medien, die daran teilnehmen wollen, werden in einem Bereich ganz am Ende des Turquoise Carpet platziert. Also da, wo kein Act mehr stehen bleibt, nur noch müde ist und dann durchzieht. Zusätzlich noch auf der anderen Seite, wo die vor-ort-akkreditierte Presse steht. Damit sind wir wohl besseres Dekomaterial, damit sich die Künstler:innen etwas weniger einsam fühlen als bei den Pressekonferenzen. Ein Schlag ins Gesicht. Das ist eine verdrehte und letztlich respektlose Haltung der RAI und der EBU gegenüber Fan-Medien.
Wir sind Fans, die ihr ganzes Herzblut in die Inhalte stecken, die wir anderen Fans anbieten. Es ist jedoch an der Zeit, eine Grenze zu ziehen, indem wir diese Last-Minute-Einladung ablehnen. Sie bedeutet viel Vorbereitung und in diesem Fall wenig Output. Wir werden also die Eröffnungszeremonie und den Empfang auf dem Teppich online mit einem Glas Prosecco in der Hand sehen. Von der in Turin gemieteten Wohnung aus, woher wir auch das bisherige Geschehen verfolgten. Nicht mit minder viel Herzblut. Liebe RAI und EBU: Danke für nichts.
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