Kaum war «Tout l’univers» von Gjon’s Tears draussen, schnellte die Schweiz in den Wettquoten auf eurovisionworld.com atemberaubend in die Höhe. Und landete in den darauf folgenden Tagen auf Platz 1 mit 20% Siegeschancen. Auf die Frage «Who will win Eurovision Song Contest 2021» gab es für die Schweizer Fans nur eine Antwort: Switzerland. Aber: Wie verlässlich sind Wettquoten eigentlich?
Auf vielen Facebook-Eurovision-Plattformen präsentierte sich am Abend des 10. März 2021 das gleiche Bild: Die Schweiz ist mit Gjon’s Tears und «Tout l’univers» in den Wettquoten ganz vorne. Auch die Rating-App für Eurovision-Fans myeurovisionscoreboard.com zeigt die Schweiz bis heute als Top-Favorit. Deshalb stellt sich die Frage, welchen Stellenwert Wettquoten eigentlich haben? Lässt sich aus ihnen ein Sieg voraussagen?
eurovisionworld.com: aggregierte Quoten aus 17 Wettbüros
Vorweg: Die Website eurovisionworld.com bietet weit mehr als Wettquoten. Besonders hervorzustreichen sind die fantastischen Möglichkeiten, die Punkteverteilung grafisch nachzuvollziehen. Und zwar bis 1956 zurück, dem Jahr wo alles begann. Seit 2014 ist die Website online. Und unsere Auskunftsperson Andreas Kalaitzis nennt ein klares Ziel:
We launched Eurovisionworld back in 2014 as we wanted to make a site that gathered all the facts about the Eurovision Song Contest in one place: All the songs, points, polls, facts, news and odds. Over the years, we have built up a lot of databases that have only one purpose: to gather it all in one place in a simple user-friendly way.
Auch für Wettquoten gab es noch keine benutzerfreundliche Vergleichsmöglichkeit, zumal Wettbüros klassischerweise auf Sportwetten ausgerichtet sind. Auch wenige verlässlichen Seiten. So zeigen aktuell andere Seiten immer noch Armenien oder Belarus als Gewinner. Soweit so die Beweggründe. Welche Bedeutung haben nun Wetten generell in der Eurovision-Landschaft?
Quoten-Einfluss auf Berichterstattung?
Könnte es denn sein, dass mit den Wettquoten auch die Berichterstattung von Medien und zum Beispiel die Erwähnungen der Kommentatoren ein Ergebnis auf das finale Resultat haben? Fakt ist: Die aggregierten Wettquoten von eurovisionworld sind ein Renner und auch bei Journalisten beliebt. Fakt ist auch: Wer am Ende der Tabelle klebt, wird kaum in den Berichterstattungen oder von den Kommentatoren erwähnt. Weniger Erwähnung gleich weniger in den Köpfen des Eurovision-fernen Publikums verankert. Klingt ganz logisch, oder? Dazu Kalaitzis von eurovisionworld: «Quoten sind einfach eine Berechnung der Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses». Sie können eine von vielen Möglichkeiten sein, das Ergebnis des Contest vorherzusagen. Und davon gibt es viele Möglichkeiten: Umfragen, Anzahl der Plays auf Spotify, YouTube oder eben myeurovisionscoreboard. So glaubt Kalaitzis nicht, dass die Quoten den Ausgang der Eurovision in grösserem Mass beeinflusst. Er führt dies jedoch darauf zurück, dass der Grossteil der Zuschauenden diese Quoten nicht konsultiert. Er gibt aber auch zu: Favoriten bekommen mehr Aufmerksamkeit, und Fernsehsender konzentrieren sich vielleicht mehr auf die Favoriten. Ganz von der Hand zu weisen ist also der Einfluss nicht. Wie verhielten sich denn aber in der Vergangenheit Wettquoten zu tatsächlichen Resultaten?
Darf sich die Schweiz freuen?
Werfen wir doch einen Blick zurück auf die Vorhersagen aus den Wettbüros. 2018 lag die Gewinnchance von Eleni Foureira mit «Fuego» bei satten 37%, Netta kam mit «Toy» lediglich auf 24%. Das Endergebnis sah genau umgekehrt aus: Netta gewann mit 529 Punkten und stiess Eleni Foureira auf den zweiten Platz mit 436 Punkten.


Der 2018 drittplatzierte Cesàr Sampson aus Österreich hatte gemäss Wetten eine Gewinnwahrscheinlichkeit von einem Prozent und Platz 20. Verlässlich waren dagegen die Jahre 2015 und 2019. 2019 stieg Duncan Laurence mit der Veröffentlichung seines Songs gleich auf Platz 1 bei den Wetten ein. Und diesen Platz gab er nicht mehr her, selbst als seine ersten Proben in Tel Aviv nicht so rosig liefen. Die Gesamtheit aller Wettquoten ergaben eine Siegeschance von 51%. Und so kam es denn auch: Mit 498 Punkten gewann die Niederlande den Contest. Aber keineswegs so eindeutig, wie in den Quoten vorhergesagt. Italien erzielte Platz 2 mit 26 Punkten weniger (in den Wettquoten auch auf Platz 2, aber mit lediglich 9%).
Was heisst das nun für die Erfolgschancen der Schweiz? Kalaitzis dämpft die Freude: «Im Moment geben die Buchmacher der Schweiz eine 12-prozentigen Chance auf den Sieg.» (Stand: 13. April 2021). Und das sei eine ziemlich geringe Wahrscheinlichkeit. Er weisst auch darauf hin, dass sich die Quoten stark verändern können, wenn die ersten Proben beginnen. So donnerte Eleni Foureira nach der ersten Probe bei den Buchmachern auf den ersten Platz. Bis dahin war Netta aus Israel die klare Favoritin. Einmal mehr zeigt es die Unsicherheit der Quoten. Mit den aktuellen 12% haben wir auch keinen eindeutigen Trend für einen Schweizer Sieg und wir sind auf Platz 3 abgerutscht. Gut, sind die Quoten also nicht immer verlässlich. So liegt nach wie vor ein Schweizer Sieg drin …
Bild: eurovisionworld.com
Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf: Französisch