Wenn am Donnerstagabend die Schweiz in Stockholm um den Einzug ins Finale des Eurovision Song Contest (ESC) kämpft, ist er live dabei: Tom Glanzmann (40). Der Berner betreibt gemeinsam mit zwei Freunden die Schweizer ESC-Fansite douzepoints.ch.
Herr Glanzmann, Hand aufs Herz: Denken Sie, Rykka schafft es für die Schweiz ins ESC-Finale?
Tom Glanzmann: Nein. Auch wenn ich es ihr gönnen würde. Aber die Konkurrenz ist zu stark. Ich hoffe, dass wir nicht noch den «Barbara Dex»-Award bekommen, einen nicht ganz ernst gemeinten Preis für das schlimmste Outfit.
Die Schweiz war in den letzten Jahren nicht gerade erfolgreich am Eurovision Song Contest. Was machen wir falsch?
Vielleicht hilft uns die Frage: Was machen andere besser? Die Schweden machen uns das vor. Der ESC hat hier eine ganz andere Bedeutung. Die Gesellschaft trägt ihn mit. Alleine der schwedische Vorentscheid «Melodifestivalen» ist ein gesellschaftliches Happening, das an sechs Samstagabenden im schwedischen Fernsehen über die Bühne geht. Da werden Hallen mit über 30 000 Zuschauern gefüllt. Diese Popularität macht es für Sänger attraktiv, beim Contest mitzumachen. In der Schweiz verbrennt man sich eher die Finger, so wie DJ Bobo oder die Lovebugs. Und auch beim Auswahlverfahren von SRF sehe ich viel Potenzial. Nächstes Jahr könnte da Bewegung reinkommen.
Inwiefern?
Seit Anfang Jahr ist bei SRF der neue Bereichsleiter Show und Verantwortliche für den ESC, Reto Peritz, im Amt. Wir hoffen auf frischen Wind und gehen davon aus, dass er das Selektionsverfahren überdenken wird.
Hat die Schweiz überhaupt eine Chance? Nicht viele Länder geben uns aus purer Sympathie Punkte. Und manche sagen, der ESC sei ein abgekartetes Spiel.
Dem widerspreche ich. Natürlich spielen geografische und auch politische Gegebenheiten eine Rolle. Doch hätte Österreich 2014 nicht gewinnen können, wenn es keinen starken Song von einer Conchita Wurst gehabt hätte.
Wie hat sich der ESC verändert?
Früher war es eine kleine Musikgala. Die Zuschauer vor Ort kleideten sich schick, der Ländermitstreit stand im Vordergrund. Um den geht es heute noch. Aber es wurde bombastischer, glamouröser und technisch ausgeklügelter. In den letzten Jahren sind die Songs zudem besser geworden, Spassbeiträge fehlen. Dieses Jahr gibt es keinen einzigen Beitrag, der einfach nur witzig sein will. Und der Song Contest ist dabei, sich zu öffnen. Zum ersten Mal wird er in Amerika übertragen, und Australien nimmt schon zum zweiten Mal teil. Leider hat der Stellenwert dieses Wettbewerbs in der Schweiz laufend abgenommen.
In anderen Ländern ist das Gegenteil passiert. Was verpasst die Schweiz?
Der ESC ist in vielen Ländern wie ein Feiertag. Man trifft sich, schaut ihn sich gemeinsam an, macht Tippspiele, fachsimpelt und nervt sich dann bei der Punktevergabe. Das Motto dieses Jahr ist «Come Together». Klingt banal, aber tatsächlich verbindet der ESC Menschen. Wenn in diesem Jahr 42 Länder an den Start gehen, dann freut man sich in der Halle für den andern. Es ist ein Miteinander.
Welches ist Ihre früheste Erinnerung an den Song Contest?
Ich war 6 Jahre alt und erinnere mich an ein Mädchen mit langer Mähne und glänzend weisser Gitarre. Der Song war auf Deutsch und klang nach heiler Welt. Das war «Ein bisschen Frieden» von Nicole im Jahr 1982.
Und dann kam Céline Dion?
Das ist meine zweite Erinnerung an den Contest. Als sie 1988 für die Schweiz gewann, wollte ich im nächsten Jahr unbedingt live dabei sein. Aber mein Vater hatte leider kein Gehör dafür. Der ESC liess mich aber nicht mehr los. Ich bewundere auch Loreen, die mit «Euphoria» für mich den bisher besten Song hatte. Spuren hinterlassen hat auch Conchita Wurst. Sie wurde zu einer grossartigen Botschafterin für den Eurovision Song Contest und auch für die LGBT-Community (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender/Anmerkung der Redaktion).
Warum hat der ESC eine so grosse homosexuelle Fanbase?
Diese Frage stellen wir von Douzepoints.ch den Künstlern immer wieder. Dieses Jahr auch dem schwulen Sänger Hovi Star aus Israel. Seine Antwort: Schwule würden eine glitzernde Welt und das Showbusiness mögen. Vielleicht ist es aber auch die Geschichte der auftretenden Künstler selber. Oft sind es wenig bekannte Gesichter, die einen Vorentscheid gewinnen und die Chance bekommen, vor 200 Millionen Menschen zu singen. Solche Geschichten interessieren Schwule.
Sie sind bereits seit Ende April in Stockholm und verfolgen die Proben. Wer ist Ihr Favorit?
Es ist offen wie nie, und mein Favorit ändert sich fast mit jeder Probe. Gute Chancen hat Russland mit Sergei Lasarew. Einerseits ist der Song toll, der Russe ist talentiert, und vor allem wird mit riesiger Technik und fast schon Magie eine atemberaubende Show inszeniert. Und auch der spanischen Sängerin Barei traue ich einiges zu.
Artikel aus der Berner Zeitung. Bild: douzepoints.ch